Am Zentrum für klinische Neurowissenschaften werden motorische und kognitive Funktionseinschränkungen nun auch in der virtuellen Welt untersucht. Patienten mit Multipler Sklerose haben nun die Möglichkeit, ihre Leistungen hinsichtlich dieser beiden Domänen zu überprüfen. Eine gute Funktion der oberen Extremität und eine intakte Kognition sind wichtige Parameter, um den Anforderungen des Alltags allumfassend gerecht zu werden. Einschränkungen in diesen Bereichen haben beispielsweise Auswirkungen auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität, die Selbstbestimmung sowie die Erschöpfung.
Der Vorteil virtueller Realität (VR) liegt darin, dass sie sehr realitätsnah gestaltet werden kann und den Patienten das Gefühl vermittelt, sich in einer echten Situation zu befinden. Es bietet die Möglichkeit für eine Behandlung mit erhöhtem Motivationscharakter, was im Vergleich zu einer konventionellen Therapie ein großer Vorteil ist.
Das VR-System umfasst ein drahtlos mobiles Headset, zwei Controller und ein Tablet, mit dem der Untersucher die jeweiligen Inhalte der Anwendung auswählen kann. Eine geringe Latenz gewährleistet ein schwindelfreies Echtzeiterlebnis. Der programmierte Avatar basiert auf einem biomechanischen Bewegungsmodell, dass die aktiven Bewegungen des Patienten in Echtzeit erfasst.
Im Rahmen der VR- Tasks werden beispielsweise die motorischen Funktionsbereiche Kraft, aktiver Bewegungsumfang und Auge-Hand-Koordination sowie die kognitiven Funktionsbereiche wie beispielsweise Aufmerksamkeit, Reaktion und Gedächtnis betrachtet. Der Patient sitzt während der gesamten Untersuchung sicher auf einem festen Untergrund, um eine Sturzgefahr auszuschließen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen unmittelbar in die Betreuung des Patienten ein und können zur Optimierung der symptomatischen Therapie beitragen.
Im Verbundprojekt „Textilintegrierte KI-gestützte Elektrostimulation zur MS-Therapie (TeKI-FES)“ erforschen und entwickeln wir gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Industrie ein intelligent geregeltes System auf Basis der Funktionellen Elektrostimulation (FES) zur Unterstützung geschwächter Muskelgruppen der Beine.
Im Projekt TeKI-FES wird die Vision aus dem vorangegangenen Forschungsprojekt SmartMediTex u.a. um mehr Stimulationspunkte und eine auf künstlicher Intelligenz basierende Regelung erweitert. Die bedarfsgerechte Elektrostimulation abgeschwächter Muskulatur soll über gestrickte Elektroden erfolgen, die in eine körpernah geschnittene Smart-Textile-Hose integriert sind. In die smarte Hose integrierte Sensoren sollen Daten für die Regelung der FES sowie für die Generierung von Gangparametern liefern. Die Forschungsarbeiten im Verbundprojekt erfolgen für das Krankheitsbild der MS. Perspektivisch soll das Systemkonzept darüber hinaus die Mobilität und Lebensqualität von neurologischen Patient:innen mit Bewegungseinschränkungen durch abgeschwächte Muskulatur signifikant verbessern können.
Das Konsortium besteht aus den Forschungszentren der TU Dresden „Zentrum für Klinische Neurowissenschaften (ZKN)“ sowie „Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM)“ und den Firmen dresden elektronik ingenieurtechnik GmbH, warmX GmbH und neuroConn GmbH aus Thüringen.
Das Verbundprojekt TeKI-FES mit dem Teilprojekt am ZKN („Anforderungen für optimale Funktionalität und Akzeptanz des TeKI-FES-Systems, Datensätze zum KI-Training erheben und Validierung von Ergebnissen des Gesamtprojekts“, FKZ: 13GW0700E) ist gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit dem Aktionsfeld „Gesundheitswirtschaft im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung“.
Im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts SmartMediTex wurde unter der Leitung des Zentrums für Klinische Neurowissenschaften von 2021 bis 2023 an einem textilbasierten System zur Gangunterstützung und -diagnostik gearbeitet. Das Verbundprojekt SmartMediTex wurde mit Partnern aus Forschung und Industrie durchgeführt. Das Institut für Textilmaschinen und Textile Hochleistungswerkstofftechnik (ITM) der TU Dresden sowie die Firmen dresden elektronik ingenieurtechnik GmbH und warmX GmbH aus Apolda brachten innovative Lösungen zur textilen und elektrotechnischen Umsetzung ein.
Im Projekt wurde der Ansatz verfolgt, MS-Patient:innen mit Fußheberschwäche durch funktionelle elektrische Stimulation (FES) beim Gehen bedarfsgerecht zu unterstützen, wobei parallel Gangdaten unter Alltagsbedingungen objektiv erfassbar sein sollen. Hierzu erfolgte die Entwicklung als tragbares System in Form einer Funktionsleggings mit integrierter Sensortechnik. Es entstand auch ein erster Funktionsdemonstrator mit gestrickten Trockenelektroden.
Durch die Gangdatenerfassung sollen Interventionsmaßnahmen initiiert werden können, um dem weiteren Fortschreiten der Beeinträchtigungen entgegenzuwirken. Auch sekundäre Folgen wie Stürze aufgrund unerkannter Gangbeeinträchtigungen könnten so vermieden werden.
Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten erfolgten für den Anwendungsfall der Fußheberparese bei Multipler Sklerose. Das Konzept kann aber auch auf andere neurologische Erkrankungen, die mit einer Fußheberschwäche einhergehen, übertragen werden.
Dieses Projekt wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Algorithmen des maschinellen Lernens (ML) können Gangpathologien erkennen und klassifizieren. Ziel ist es frühzeitige Ganganomalien bei MS betroffenen aufzudecken noch bevor diese mit bloßem Auge zu erkennen sind. Des Weiteren sollen motorische Veränderungen bedingt durch Progression der MS im niederschwelligen Bereich erkannt werden. Gelingt dies, können neue Therapieebenen eröffnet werden. Zur Klassifizierung von Gangdaten aus unserem Bewegungslabor wurden mehrere ML-Ansätze, welche bereits in der Literatur etabliert sind genutzt, beispielsweise k-Nearest Neighbour, Support Vector Machine, Decision Tree und Gaussian Naive Bayes.
Ein weiteres Projekt beschäftigte sich mit der Vorhersage der Gehstrecke des 2-Minuten-Gehtest basierend auf hochdimensionalen und heterogenen Sensordaten. Neben herkömmlichen spatiotemporalen Gangparametern wie Schrittlänge, Schreitzeit und Gehgeschwindigkeit werden über spezialisierte Messinstrumente eine Vielzahl an Gangparametern erhoben. Für detaillierte klinische Fragestellungen spielen dabei jeweils ganz spezifische Messdaten eine Rolle. Laufende Projekte beschäftigen sich daher mit Parameterselektion und Sturzvorhersage mittels maschineller Lernmethoden.
In verschiedenen Forschungsansätzen widmen wir uns dem Thema Sturz und Fallangst. Aufgrund von Geheinschränkungen besteht für Menschen mit Multipler Sklerose häufig ein erhöhtes Sturzrisiko sowie durch Unsicherheiten beim Gehen bedingt eine Angst zu stürzen. Um das Gangbild der Betroffenen zu verbessern und die Zahl der Stürze bei Patienten zu verringern, ist es wichtig, alle Risikofaktoren für Stürze zu identifizieren. Dies erfordert ein umfassendes Verständnis der Biomechanik des pathologischen Gangs sowie detaillierte Mess- und Auswertemethoden. In einer aktuellen Arbeit untersuchen wir, ob die Bestimmung des Sturzrisikos durch Ganganalyse mittels maschineller Lernverfahren möglich ist. Hier ist unser Ziel, die relevanteste Methode zur Bestimmung des Sturzrisikos zu ermitteln, indem wir zehn verschiedene Gangbeurteilungsmethoden mithilfe von Algorithmen des maschinellen Lernens analysieren. Darüber hinaus untersuchen wir die relevantesten Merkmale für die Sturzerkennung. Es wurden ein neues Ensemble zur Merkmalsauswahl und vier Klassifikationsmodelle (Gaussian Naive Bayes, Entscheidungsbaum, k-nearest neighbor, Support Vector Machine) verwendet.
Das Oberflächen-Elektromyogramm (sEMG) ist ein geeignetes Messverfahren zur Erfassung der spezifischen Muskelaktivität. Im Rahmen einer Bachelorarbeit im Studiengang Medical Engineering (TU Chemnitz) wurde untersucht, inwieweit die sEMG-Erfassung in die Mobilitätsanalyse am ZKN implementiert werden kann. Die Arbeiten erfolgten mit dem kabellosen System Delsys Trigno®. In einer Pilotstudie wurden EMG-Daten von Patient:innen und Personen einer gesunden Kontrollgruppe (KG) erfasst, während diese den 5-Sit-to-Stand-Test (5-STST) absolvierten. Der 5-STST ist ein einfacher, schneller und häufig verwendeter Test zur Beurteilung der funktionellen Muskelkraft der unteren Extremität. Als Referenzsystem zur Einteilung der Bewegungsphasen des 5-STST wurde die Bodenreaktionskraft mittels einer synchronisierten Kraftmessplatte (AMTI ACP-O) erfasst. Für die durch Signalfilter und Normalisierung aufbereiteten EMG-Daten erfolgte ein Gruppenvergleich (MS-Patient:innen vs. gesunde Kontrollgruppe), wobei die EMG-Daten hinsichtlich Amplitude und relativer Dauer in mehreren Bewegungsphasen untersucht wurden.
In Zusammenarbeit mit der TU Chemnitz/Professur für Sportgerätetechnik sind wir an einem Studienprojekt zu Innensohlen mit hochdynamischen Kraftwiderstandssensoren beteiligt.
Diese Sensoren sind dünn, flexibel und mit 8 Sensorzellen ausgestattet - außerdem ist ein Datenlogger der Firma Envisible mit einem 3-Achsen-Beschleunigungssensor an der Socke angebracht. Wir untersuchen im MS-Zentrum Patienten und gesunde Kontrollprobanden für die Analyse der plantaren Druckverteilung.
Um die aufgezeichneten Sensordaten der Socken mit GAITRite® vergleichen zu können, verarbeitet ein selbst entwickelter MATLAB-Algorithmus die Sensordaten der Socken zu Gang- und Druckparametern. Sechzehn Gang- und Druckparameter wurden für den Vergleich mit GAITRite bereitgestellt.
Wir haben die Sensorsocken für eine Usability-Studie zur Analyse der Handhabung und zur Validierung gegenüber dem Goldstandard verwendet.